Eigensinn im Berufsleben: Wenn die alten Antworten nicht mehr passen

Reflexion & Eigensinn

Es beginnt oft leise. Vielleicht mit einem Gedanken wie: „Früher hat mir das mal Freude gemacht – aber heute fühlt es sich leer an.“ Oder mit einer unterschwelligen Reibung im Arbeitsalltag, die nicht mehr weggeht. Aufgaben, die früher motiviert haben, wirken plötzlich mechanisch. Gespräche drehen sich im Kreis. Entscheidungen fühlen sich nicht mehr nach den eigenen an.

In solchen Momenten spürst du vielleicht: Die alten Antworten passen nicht mehr. Was bisher getragen hat – Routinen, Rollen, Vorstellungen vom „richtigen“ Berufsweg – fühlt sich plötzlich an wie ein zu eng gewordenes Kleid. Und mit dieser Erkenntnis wächst oft die Verunsicherung. Was, wenn ich einfach nur undankbar bin? Oder nicht mehr belastbar?

Aber was, wenn genau dieses Unbehagen ein Signal ist? Kein Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Entwicklung? Ich glaube: Wenn die alten Antworten nicht mehr passen, beginnt etwas Neues. Und oft meldet sich dann etwas, das wir lange überhört oder als unpassend abgetan haben – unser Eigensinn.

Eigensinn: Vom Makel zur Ressource

Eigensinn – das klingt für viele erst einmal sperrig. Vielleicht sogar unangenehm. Zu eigensinnig zu sein, galt lange als Makel: jemand, der sich nicht einfügt, der „sein eigenes Ding“ macht, unbequem ist. In der Schule war Eigensinn selten gefragt. Im Job oft noch weniger. Wer sich anpasst, funktioniert – und das galt (zu lange) als Tugend.

Doch Eigensinn ist mehr als stures Verhalten oder Trotz. Für mich ist Eigensinn die Fähigkeit, mit sich selbst in Kontakt zu bleiben. Zu spüren, was wirklich stimmig ist – und was nicht. Es ist eine innere Klarheit, die sich nicht laut aufdrängt, aber hartnäckig meldet, wenn wir uns zu weit von uns selbst entfernen.

Warum unterdrücken wir diesen Eigensinn so oft? Weil wir früh lernen, Erwartungen zu erfüllen: der Kollegin zuliebe, der Karriere wegen, aus Angst, anzuecken. Und weil es einfacher scheint, sich anzupassen, als die eigene Richtung zu behaupten.

Aber gerade in Zeiten der beruflichen Veränderung – wenn die äußeren Rahmenbedingungen ins Wanken geraten – wird Eigensinn zur Ressource. Er zeigt uns, wo es nicht mehr passt. Und manchmal auch, wohin es gehen könnte. Nicht als fertiger Plan, sondern als leiser, innerer Kompass.

Impulse zur Selbstklärung

Wenn die vertrauten Antworten nicht mehr greifen, entsteht oft ein Vakuum. Und dieses Leeregefühl kann verunsichern – oder zu einem Raum für Neues werden. Aber wie beginnt man, diesem Neuen näherzukommen? Ein erster Schritt ist die ehrliche Selbstbeobachtung. Ohne Druck, sofort eine Entscheidung treffen zu müssen. Nur hinschauen. Lauschen.

Hier sind einige Fragen, die dir helfen können, deinem eigenen Eigensinn auf die Spur zu kommen:

  • Wo in meinem beruflichen Alltag spüre ich Reibung?
  • Welche Tätigkeiten entziehen mir Energie – und welche geben mir Kraft?
  • Wann hatte ich das letzte Mal das Gefühl: „Das bin wirklich ich“?
  • Wo habe ich mich vielleicht angepasst, obwohl es sich innerlich nicht stimmig anfühlte?

Eine kleine Übung:

Nimm dir zehn Minuten Zeit und erinnere dich an eine Situation, in der du deinem Eigensinn gefolgt bist – vielleicht gegen äußere Erwartungen. Was war das für ein Moment? Was hast du gespürt? Was ist daraus entstanden?

Diese Übung ist kein Test. Sie ist eine Einladung, dich selbst wieder als Gestalter deiner Geschichte zu erleben. Es geht nicht darum, sofort neue Ziele zu definieren – sondern zu erkennen, wo du dich selbst vielleicht lange übergangen hast.

Eigensinn im Berufsleben konkret: Drei beispielhafte Wendepunkte

Eigensinn zeigt sich nicht nur in großen Lebensentscheidungen – oft beginnt er mit einem stillen Unbehagen und führt zu Veränderungen, die tief wirken. Die folgenden Szenarien sind fiktiv, aber orientieren sich an typischen Erfahrungen, wie ich sie in Gesprächen mit Menschen in Umbruchsituationen immer wieder höre:

Claudia (52), Teamleiterin in der Verwaltung

Seit Jahren leitete sie ein großes Team – souverän, aber zunehmend erschöpft. „Ich funktioniere nur noch“, sagte sie irgendwann. Der Wendepunkt kam, als sie sich erlaubte, diesen Satz ernst zu nehmen. Claudia kündigte, nahm sich sechs Monate Auszeit und arbeitet heute als Coachin – in Teilzeit, mit Fokus auf Menschen in Umbruchsituationen. „Weniger Status, mehr Sinn“, sagt sie heute.

Thomas (45), Ingenieur in einem Großkonzern

Die Karriereleiter war vorgezeichnet – aber je höher er stieg, desto leerer fühlte sich alles an. Thomas traf eine Entscheidung gegen den Aufstieg: Er wechselte intern in ein kleines Entwicklungsteam, wo er wieder mitgestalten kann. „Ich habe aufgehört, etwas zu verfolgen, das nie wirklich meins war.“

Melanie (47), Marketingleitung in der Agenturwelt

Anerkennung, Projekte, Tempo – vieles davon mochte sie. Aber irgendwann fragte sie sich: Für wen mache ich das eigentlich? Sie kündigte und wechselte zu einer NGO mit deutlich kleinerem Budget. „Ich bin nicht mehr so sichtbar, aber ich bin angekommen.“

Diese Geschichten sind keine Rezepte. Aber sie zeigen: Eigensinn kann Wege öffnen, die vorher nicht sichtbar waren – wenn man bereit ist, sich selbst zuzuhören.

Eigensinn-Reflektionskarten als vertiefende Begleitung

Manchmal ist es nicht leicht, dem eigenen Eigensinn zuzuhören. Zu viele Stimmen reden mit: Erwartungen, Erfahrungen, Zweifel. Genau dafür habe ich die Eigensinn-Reflektionskarten entwickelt. Sie sind kein Rezeptbuch, kein Plan zur Selbstoptimierung – sondern eine Einladung, tiefer zu schauen.

Jede Karte stellt eine Frage, die etwas in Bewegung bringt. Keine Frage, die sich „mal eben“ beantworten lässt. Sondern solche, die nachwirken. Die dich vielleicht erst später erreichen – beim Spazierengehen, im Gespräch, in einer ruhigen Minute.

Mir war wichtig, dass diese Karten nicht belehren. Sie sind ein Resonanzraum. Sie helfen, dein eigenes Denken zu sortieren, neue Perspektiven zuzulassen und deiner inneren Stimme Raum zu geben.

Wenn du das Gefühl hast, dass jetzt ein guter Moment ist, dir selbst tiefer zu begegnen, dann findest du hier mehr über die Karten: Eigensinn-Reflektionskarten ansehen.

Fazit – Mut zur eigenen Richtung

Wenn die alten Antworten nicht mehr tragen, beginnt nicht das Ende – sondern der Anfang von etwas Neuem. Vielleicht leise, vielleicht tastend, aber mit der Kraft, wieder stimmig zu werden. Eigensinn kann in solchen Momenten ein Wegweiser sein. Kein lautes „So musst du es machen“, sondern ein inneres: „Schau hin – da ist etwas, das gehört zu dir.“

Es braucht Mut, den eigenen Weg zu gehen – vor allem dann, wenn er nicht der erwartete ist. Aber dieser Mut wird nicht durch äußere Sicherheit genährt, sondern durch innere Klarheit. Und genau diese entsteht, wenn du dir erlaubst, Fragen zu stellen. Wenn du nicht sofort Antworten brauchst, sondern das Lauschen wieder lernst.

Ich lade dich ein: Nimm dir Raum. Für dich. Für deinen Eigensinn. Für das, was in dir wachsen will. Vielleicht beginnt genau dort deine neue berufliche Richtung – nicht als Plan, sondern als Haltung.

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