Regenerative Führung: Wie du mit weniger Kontrolle mehr bewirkst

Führung & Wandel

Kontrolle ist keine Lösung

Es gab eine Phase, da wollte ich alles im Griff haben. Ich hatte klare Ziele, gute Tools, definierte Prozesse – und trotzdem: Im Team stockte es. Deadlines wurden geschoben, Entscheidungen zogen sich, die Stimmung war angespannt. Also steuerte ich nach. Mehr Abstimmungen, mehr Check-ins, mehr Präsenz.

Was ich dabei übersah: Nicht das Team war unklar. Ich war es. Und mein Bedürfnis nach Kontrolle blockierte genau das, was ich eigentlich wollte: Wirksamkeit.

Heute denke ich anders über Führung – und frage mich öfter: Was braucht es wirklich, damit gute Arbeit entsteht? Die Antwort ist fast nie „mehr Kontrolle“. Sondern meist: bessere Bedingungen.

Führung in komplexen Systemen

Viele Führungsansätze stammen aus einer Zeit, in der Arbeit planbar, stabil und hierarchisch organisiert war. Ziel – Plan – Umsetzung – Kontrolle. Doch diese Logik greift nicht mehr, wenn sich Rahmenbedingungen laufend verändern, Teams hybrid arbeiten und Wissen dezentral verteilt ist.

In komplexen Systemen – also in Situationen, in denen Ursache und Wirkung nicht mehr klar verknüpft sind – funktioniert Steuerung nur begrenzt. Was dort wirkt, ist nicht Kontrolle, sondern Resonanz: zuhören, beobachten, reagieren. Führung braucht in solchen Kontexten ein anderes Verständnis – eines, das eher an Gartenpflege erinnert als an Maschinensteuerung.

Die Komplexitätstheorie und Ansätze wie Cynefin (Snowden & Boone, 2007) unterscheiden zwischen einfachen, komplizierten, komplexen und chaotischen Situationen. Für komplexe Systeme empfehlen sie iterative, experimentelle Vorgehensweisen statt linearer Planung .

Auch die Studie „Leadership for the 21st Century“ von Otto Scharmer (MIT) betont: In Transformationsprozessen brauchen Führungskräfte weniger Durchsetzungskraft – und mehr Fähigkeit zur tiefen Beobachtung, zum Zuhören und zur Gestaltung von Kontexten, in denen Veränderung von innen heraus entsteht .

Das heißt nicht, dass Führung sich auflöst. Aber sie verlagert sich: weg vom „Ansagen“ hin zum „Gestalten von Bedingungen“, in denen Selbstorganisation, Verantwortung und Entwicklung möglich werden.

Führung als Kreislauf – inspiriert von der Permakultur

Wenn ich über regenerative Führung nachdenke, denke ich nicht an Methoden. Ich denke an Kreisläufe.

Ein Kreislauf bedeutet: Es gibt Phasen. Es gibt Übergänge. Es gibt Zeiten des Handelns – und Zeiten des Beobachtens, Innehaltens, Anpassen. Genau das macht die Permakultur aus – ein Gestaltungsprinzip, das aus der Landwirtschaft kommt, aber längst auch auf Organisationen übertragen wird.

Ein zentrales Prinzip der Permakultur lautet: „Observe and interact“ – zuerst beobachten, dann handeln. Führung in diesem Sinn heißt nicht: planen und durchsetzen. Sondern: erkennen, was gerade entsteht. Impulse setzen. Feedbackräume schaffen. Lernen zulassen.

Das lässt sich auf Führungsarbeit übertragen – als dynamischer Kreislauf:

1. Beobachten: Was zeigt sich im Team, im Projekt, in mir selbst?

2. Entscheiden: Wo lohnt ein Eingriff – und wo nicht?

3. Handeln: Einen Impuls setzen, nicht alles gleichzeitig bewegen.

4. Reflektieren: Was hat gewirkt? Was hat irritiert?

5. Anpassen: Rahmenbedingungen verändern, neu ausrichten, Raum geben.

Dieses Denken verändert alles. Es erlaubt, Unsicherheit als Ressource zu sehen – nicht als Bedrohung. Und es schenkt Führungskräften eine neue Rolle: nicht mehr Steuermann, sondern Gärtner. Nicht alles planen, aber für gute Bedingungen sorgen.

Auch in der Organisationsentwicklung setzt sich diese Sichtweise durch: Die Konzepte der „Living Systems“ (Margaret Wheatley) oder „Teal Organizations“ (Frederic Laloux) sehen Organisationen als lebendige Systeme, nicht als Maschinen. Führung ist dort ein Teil des Systems, nicht dessen Dirigent.

Beispiel aus der Praxis: Ein Projektteam kommt nicht voran. Statt sofort neue Ziele zu definieren, entscheidet die Führungskraft: Erst beobachten. Sie lädt zu einer Feedbackrunde ein, hört zu, dokumentiert. Erst dann werden Maßnahmen abgeleitet – gemeinsam. Das Ergebnis: bessere Entscheidungen, mehr Engagement, weniger Reibung.

Konkrete Praktiken für regenerative Führung

Der Führungsalltag ist oft voll. Entscheidungen müssen getroffen, Projekte vorangebracht, Konflikte moderiert werden. Die Idee des Führungskreislaufs klingt da erstmal idealistisch. Aber: Sie lässt sich sehr konkret in den Alltag integrieren – gerade durch kleine, bewusste Praktiken.

Beobachten statt sofort handeln

In vielen Teams wird sofort reagiert, wenn etwas nicht funktioniert. Doch was, wenn die erste Antwort nicht die klügste ist?

Praktik: Nimm dir bewusst 24 Stunden Beobachtungszeit, bevor du bei einem Problem einschreitest. Nutze Tools wie strukturierte Check-Ins oder Feedbackrunden, um Informationen zu sammeln.

Tipp: Nutze die Eigensinn-Reflektionskarten, um Perspektiven im Team sichtbar zu machen.

Rhythmus statt Dauerfeuer

Gute Führung braucht Pausen. Für dich – und fürs Team. Ohne Rhythmus gibt es keine Regeneration.

Praktik: Plane nicht nur Meetings, sondern auch Reflexionsräume. Z. B. wöchentliche „Was nährt – was erschöpft?“-Runden.

Beispiel: Eine Führungskraft hat freitags ein einstündiges „Kollektives Innehalten“ eingeführt – ohne Agenda, nur mit zwei Fragen.

Iterative statt finale Entscheidungen

Führung heißt nicht, immer die perfekte Lösung zu liefern. Sondern auch, kleine Schritte zuzulassen.

Praktik: Starte bewusst mit einem „Beta“-Vorschlag. Bitte um Rückmeldung. Justiere nach.

Bezug: Das Cynefin-Modell empfiehlt in komplexen Kontexten genau dieses Vorgehen: probe – sense – respond.

Raum geben statt alles regeln

Teams brauchen Struktur – aber keine Überregulierung. Gerade in hybriden Kontexten hilft es, Kommunikationsrichtlinien zu vereinbaren, statt auf ständige Abstimmung zu setzen.

Empfehlung: Die Kommunikationsrichtlinie für Microsoft Teams gibt einen klaren Rahmen für Reaktionszeiten, Zuständigkeiten und Feedbackkultur.

Tipp: Stelle diese Regeln partizipativ auf – das erhöht Akzeptanz und Verbindlichkeit.

Energie statt Kontrolle

Regenerative Führung achtet auf Energie – nicht nur auf Output.

Praktik: Frage regelmäßig: Was gibt dir gerade Energie – was raubt sie dir?

Reflexionshilfe: Im E-Book Produktiv leben, klar arbeiten findest du (S. 23) konkrete Routinen zur Energiepflege.

Was du loslassen darfst – und was du brauchst

Regenerative Führung beginnt nicht mit neuen Tools. Sie beginnt mit der Bereitschaft, bestimmte Vorstellungen von Führung loszulassen.

Was du loslassen darfst:

Kontrollillusionen: Du wirst nie alles im Blick haben – und musst es auch nicht. Teams sind keine Maschinen, sondern lebendige Systeme.

Dauerpräsenz: Ständige Erreichbarkeit wirkt stark – erschöpft aber. Führung darf und soll Pausen haben.

Perfektionsanspruch: Nicht jede Entscheidung muss „richtig“ sein. In komplexen Kontexten geht es darum, gangbare Wege zu testen, nicht um perfekte Lösungen.

Alles-gleichzeitig-Denken: Führung braucht Fokus. Wenn alles wichtig ist, verliert das Team die Orientierung.

Was du stattdessen brauchst:

Klarheit über deine Rolle: Du bist nicht immer Entscheider:in. Manchmal bist du Beobachter:in, Impulsgeber:in, Hüter:in des Raums.

Strukturen, die entlasten: Klare Kanäle, Reaktionszeiten, Routinen – nicht zur Kontrolle, sondern zur Orientierung. Die Kommunikationsrichtlinie kann dafür eine solide Basis sein.

Räume für Reflexion und Feedback: Nicht nur Meetings – sondern Gesprächsformate, die Verbindung ermöglichen. Etwa mit den Reflektionskarten oder mit Fragen wie: „Was wirkt gerade – was fehlt?“

Einen Umgang mit Nichtwissen: Du musst nicht alles wissen. Aber du brauchst ein Team, das mit dir gemeinsam herausfindet, was als nächstes dran ist.

Führung als lebendiger Kreislauf

Regenerative Führung ist kein neues Modell, sondern eine Einladung: zur Selbstbeobachtung, zum bewussten Gestalten, zum Loslassen. Sie stellt nicht dich in den Mittelpunkt – sondern die Bedingungen, unter denen gute Arbeit möglich wird.

Das braucht Mut. Und eine klare innere Haltung: Ich muss nicht alles steuern – aber ich darf pflegen, fördern, klären. Führung wird dann zum Kreislauf: beobachten, entscheiden, wirken, reflektieren, anpassen.

Reflexionsimpulse zum Weiterdenken

• In welchem Teil des Führungskreislaufs befindest du dich gerade?

• Wo reagierst du noch reflexhaft – wo könntest du mehr beobachten?

• Was wäre ein mutiger Schritt, den du bewusst nicht gehst?

Tools & Angebote zur Vertiefung

Wenn du regenerative Führung nicht nur denken, sondern im Alltag leben möchtest:

Eigensinn-Reflektionskarten

→ Für individuelle oder gemeinsame Standortbestimmung und neue Perspektiven im Team

Kommunikationsrichtlinie für Microsoft Teams

→ Für klare Reaktionszeiten, transparente Regeln und weniger Stress im hybriden Alltag

E-Book: Produktiv leben, klar arbeiten

→ Für mehr Klarheit, Fokus und Energie in der Selbstorganisation als Führungskraft

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